Vom ersten Marathon zum Laufprofi zur Krebsdiagnose und zurück: Michaels Weg als Läufer, Profi und Kämpfer


Blogartikel Teil 1

Während Michael uns tiefe Einblicke in seine Lebensgeschichte gibt und ich gebannt lausche merke ich: das ist Zuviel für eine Folge. Ich entscheide mich, sie zu splitten. Zu Gast ist diesmal Michael Snehotta aus dem fränkischen Seenland. Diese Folge ist eine Achterbahn der Gefühle. Meine Gefühle während der Aufnahme: Bewunderung, Schockmomente aber vor allem so viel Lebensfreude und Liebe zum Sport, Motivation pur die Michael ausstrahlt. Ich war nach der Aufnahme und unserer anschließenden Plauderei richtig beseelt und ich hoffe, dir geht’s genau so nachdem du die beiden Folgen angehört hast.

Wir kennen uns von seinen Veranstaltungen, den Seenland Events. Yeti Trail, Vollmondmärsche, Wandermarathon. Wenn man ihm dort begegnet, sieht man zuerst den Veranstalter, den Organisator, den Typen, der gefühlt jede Wurzel und jeden Höhenmeter im fränkischen Seenland persönlich kennt. So sind wir nach einem Zieleinlauf (beim Vollmondmarsch) kurz ins Gespräch gekommen und haben beschlossen, er muss zu mir in den Podcast kommen.

Was man nicht sieht ist der Weg dahinter. Und genau darüber haben wir gesprochen.

Deshalb habe ich unser Gespräch in zwei Teile gesplittet. In diesem ersten Teil geht es um Michaels Weg vom ersten Marathon zum Profiläufer, seine Krebsdiagnose und sein Comeback im brasilianischen Dschungel.
In Teil 2 wird es dann um seine krassesten Erlebnisse, Seenland Events, sein Buch und Mentaltraining gehen.


Wie alles begann

Vom Raucher zur Marathon Wette:

Michael war kein klassischer Sportler, der schon mit 14 die ersten Crossläufe gewonnen hat. Im Gegenteil.

Er sagt selbst über die Zeit vor dem Laufen:

Zum Laufen kommt er über die Bundeswehr. Einsatz in Bosnien und im Kosovo mit freier Zeit und wenig Möglichkeiten. Also entsteht die Idee, „einfach mal laufen zu gehen“. Daraus wird eine Wette: Wenn alle gesund aus dem Einsatz zurückkommen, wird ein Marathon gelaufen.

Sie sind zehn, elf Leute, die Ja sagen. Am Ende bleibt einer übrig. Michael.

Zu Hause kennt ihn jeder als den, der raucht, trinkt, mit Sport nicht viel am Hut hat. Er kommt zurück aus dem Einsatz, hat sein Leben auf den Kopf gestellt und sagt: Ich ziehe das durch.

Sein erster Marathon wird Hamburg. Kurzer Kommentar von seinem Vater:

Nur dass es anders kommt. Michael läuft durch. 4 Stunden 6 Minuten. Erstes Ziel erreicht. Erstes großes Runners High. Er ist stolz auf sich, auf das erreichte und ist voller Emotionen im Ziel (ich kann das so sehr nachvollziehen, mir gings da ganz genau so).

Und dann passiert das, was viele von uns kennen, nur auf einem anderen Level. Er merkt: Wenn einer geht, geht noch einer.

Im gleichen Jahr hängt er Berlin und Frankfurt dran. Drei Marathons im ersten Jahr. Aus einer Schnapsidee wird etwas, das seine komplette Identität verschiebt.


52 Marathons in einem Jahr

und die Suche nach „Was geht noch?“

Im zweiten Jahr seiner Laufkarriere setzt er noch einen drauf. Der Gedanke:

„Mensch, vielleicht könntest du jedes Wochenende einen Marathon laufen.“

Und er macht es. 52 Marathons in einem Jahr. Ganz Deutschland, jede Menge verrückte Veranstaltungen. Untertagemarathon, Parkhausmarathon, Indoorläufe. Damals, ohne Instagram und ohne Laufbubble, in der alles ständig geteilt wird. Er sucht sich die „speziellen“ Läufe bewusst zusammen.

Was sich da schon zeigt: Er ist keiner, der einfach nur etwas abhakt. Er tüftelt an der Steigerungsform:

„Wie verrückt kann man sein, um so etwas zu machen? Und wie ist die Steigerungsform? Das war mir ganz wichtig damals. Was kann ich herausholen?“

Aus der Frage „Was geht noch?“ werden Spendenprojekte und verrückte Aktionen. Acht Marathons in acht Tagen für eine Radiostation, alle unter 3:30 Std.
Drei Tage, 310 Kilometer zu Fuß in die Schweiz, weil früher die Motorradtruppe dorthin gefahren ist. Diesmal läuft er, sammelt dabei über 3.000 Euro für UNICEF.

Das bleibt nicht unbemerkt. Er wird interessant für Sponsoren. Nahrungsergänzung, Laufschuhe, besondere Events. Er liefert Bilder, Geschichten, Extreme. Genau das, was Marken suchen.


Vom Altenpfleger zum Profiläufer

Was viele vergessen, wenn sie das hören: Parallel arbeitet Michael als Altenpfleger im Dreischichtbetrieb.

Seine Arbeitsstelle liegt 17 Kilometer von zu Hause weg. Für ihn wird daraus Training:

„Ich bin jeden Früh aufgestanden um drei, bin auf die Arbeit gelaufen, hab dann gearbeitet und bin wieder heimgelaufen.“

Frühschicht, Spätschicht, Nachtdienst. Und dazwischen Kinder, Ehe, Haushalt. Seine Frau steht hinter ihm und lässt ihm den Freiraum, den er braucht. Ohne diese Basis hätte das alles nicht funktioniert. Mir imponiert dabei auch sehr, dass seine Frau ihm die Inhalte zum Lernen für die Ausbildung auf Kassette spricht und er sich das unterwegs anhört.

Mit der Zeit kommen mehr Sponsoren dazu. Er bekommt Schuhausstatter, Partner für verrückte Projekte, Vortragseinladungen. Er hält Vorträge über seine Abenteuer, reist durch Deutschland, Österreich und die Schweiz.

2007 ist der Punkt erreicht, an dem er von seiner Laufkarriere leben kann. Er meldet sich offiziell als Profi an, wird dopinggetestet, hat ein Grundrauschen an Sponsoring und Projekten.

„Profi ist man dann, wenn man von dem leben kann, was man macht.“ sagt er stolz.

Er trainiert acht bis zehn Stunden am Tag, dazu Organisation, Sponsorenpflege, Vorträge. Ein Fulltime Job, nur eben im Laufoutfit.


Warum er nie schneller, aber „spektakulärer“ werden wollte

Michael ist 1,66 groß. Er weiß, dass er keine 2:10 im Marathon laufen wird und damit nie an der absoluten Weltspitze kratzt. Also wählt er bewusst einen anderen Weg.

Einmal im Leben möchte er unter drei Stunden laufen. Auch das schafft er in Hamburg. 2:59 Stunden. Haken dran.

Ab da stellt er seine Strategie um:

„Ich musste, wenn ich davon leben muss, spektakuläre Dinge machen. Also Dinge, die keiner macht oder wenige oder eine Handvoll.“

Sein Feld sind nicht Citymarathons auf Bestzeit, sondern Wüsten, Outback, Eis, Dschungel.
Australisches Outback, 600 Kilometer.
Wüstenläufe wie der Marathon des Sables.
Läufe in Jordanien, auf exotischen Strecken, mit Mini Teilnehmerfeldern.

Er bewegt sich in einer Szene aus Individualisten. Wenige Läuferinnen und Läufer weltweit, die sich überhaupt auf diese Distanzen und Bedingungen einlassen. Dazu Konkurrenz um wenige Sponsoren. Freundschaften entstehen, aber auch Neid.

Er läuft mit Leuten wie Joey Kelly in Sibirien über den Baikalsee, trifft Größen aus dem Extrem- und Bergsport, hält vor 15.000 Menschen in der Daimler Halle einen Vortrag.

Von außen betrachtet: Alles läuft.


Dann kommt die Diagnose

schwarzer Hautkrebs im Gesicht

2007 und 2008 ist er auf einem Höhepunkt. Algerische Wüste, große Projekte, Profistatus sicher. Und dann kippt die Geschichte.

Nach einem Wüstenrennen bildet sich an seiner Nase eine Stelle, die komisch aussieht, weh tut, dunkel und dann schwarz wird. Michael schiebt es erst auf den Einsatz in der Sonne. Sonnenbrand, vielleicht eine Entzündung. Klassische Sportler Logik: Wird schon wieder.

Seine Frau drängt ihn, zum Hautarzt zu gehen.

Das sitzt. Und für ihn hängt plötzlich alles daran, was diese Diagnose bedeutet. Nicht nur gesundheitlich, sondern auch beruflich. Profikarriere, Sponsoren, sein komplettes Leben.

Mehrere Operationen folgen. Hauttransplantation von hinten am Ohr an die Nase. Man versucht, das Problem „lokal“ zu lösen. Doch es bleibt nicht dabei.

Michael fühlt sich schwach, das Immunsystem ist im Keller, sein Körper kommt nicht mehr richtig auf die Beine. Er merkt: Da stimmt noch etwas nicht.

In Nürnberg wird weiter untersucht. Auf Röntgenbildern sieht man, was los ist. Der Krebs ist nicht nach außen, sondern nach innen gewachsen. Nasennebenhöhlen, Kieferknochen, Knochenaufhängungen sind teilweise zerfressen. Der Unterkiefer ist nach vorne gewandert.

Es ist ernst. Richtig ernst.


„Sie werden nie wieder laufen können“

Die erste vorgeschlagene Lösung ist eine lange, punktuelle Chemotherapie im Gesicht. Vier Jahre mit ungewissem Ausgang. Für ihn, als Profisportler, bedeutet das de facto das Ende seiner Karriere.

Er entscheidet sich dagegen und sucht nach Alternativen. Er nutzt seine Kontakte aus der Sportwelt, Olympiastützpunkt, Spezialisten, mehrere Zweitmeinungen. Am Ende findet er einen Professor, der eine radikale Idee hat:

Kiefer aufmachen. Krebs rausholen. Kieferknochen reparieren. Kiefer wieder zusammenschieben. Falls das klappt wird sich sein Gesicht verändern. Platten und Schrauben einsetzen. Ein Eingriff, der bis dahin nur an einer Leiche getestet wurde…. Eine harte Entscheidung, die er treffen musste.

Michael entscheidet sich dafür. Viel Alternative gibt es nicht.

„Wie ich damals in die Operationssaal reingefahren worden bin, hat mir keiner die Garantie gegeben, ob das funktioniert.“

Nach der OP hat er vier Platten und 24 Schrauben im Gesicht. Bis heute. Das Profil ist anders, die Narbe sichtbar, das Gefühl im Gesicht nie wieder ganz wie früher.

Und dann kommt der Satz, der vielen Menschen den Boden wegziehen würde:

„Der Arzt hat damals zu mir gesagt, Herr Snehotta Sie werden nie wieder laufen können. Jede Erschütterung könnte zum Bruch führen. Es gibt für Ihr Gesicht keinen Plan B.“

Für ihn ist das keine akzeptable Option. Laufen ist inzwischen ein Teil seiner Identität, seine Art, die Familie zu ernähren, sein Kanal, mit allem klarzukommen.


Ein Versprechen in der Garage

und der Plan für das größte Ziel

Kurz vor der Operation steht er mit seiner Frau in der Garage. Die beiden wissen, wie ernst die Lage ist. Die Kinder sind damals drei und fünf Jahre alt. Niemand kann garantieren, dass er die OP überlebt, geschweige denn, wie er danach leben kann.

In diesem Moment trifft er eine Entscheidung. (Ich habe Gänsehaut beim Zuhören und zum Glück ist es ein Audio und kein Videoformat der Podcast).

„Wenn ich das überlebe und ich meine Kinder wieder sehe und ich wieder gesund nach Hause komme, dann möchte ich den härtesten Wettkampf derWelt finishen.“

Er nimmt sich also nicht „nur“ vor, wieder laufen zu können. Er nimmt sich das Maximum vor, das er sich vorstellen kann. Ein Rennen im brasilianischen Dschungel. Der Jungle Marathon in Brasilien. Der härteste Wettkampf im Ultrabereich, den er damals kennt.

Und trotzdem: Nach außen hin ist klar, die Prognose ist schlecht. Der Arzt sagt, Laufen sei keine Option mehr. Die OP ist hochriskant. Das Gesicht ist mit Platten fixiert.

Aber er hat diese Vision. Und genau an der hält er fest.


Heimlich zurück auf die Strecke

mit Nordic Walking und einem Jahr Geduld

Nach der OP sieht er aus, wie er selbst sagt, „wie eine aufblasende blaue Wassermelone“. Kiefer OP, Schwellungen, Schmerzen. Seine Mutter erkennt ihn im Krankenhausflur erst einmal gar nicht.

Trotzdem beginnt er irgendwann heimlich zu trainieren. Seine Frau hat Angst um ihn, sein Arzt hält Laufen für zu riskant.

Also bringt er morgens die Kinder in den Kindergarten und geht dann, wenn niemand hinschaut, mit Nordic Walking Stöcken raus. Erst gehen, dann etwas schneller, dann nach und nach wieder laufen.

Nach 334 Tagen steht er im Dschungel von Brasilien am Start des Jungle Run. 260 Kilometer, sieben Etappen, die Königsetappe mit 75 Kilometern. Schlafen in Hängematten, ständig nass, verstochen, erschöpft. Wege sind oft keine Wege, sondern Sumpf, Wasser, Dickicht. Mir bleibt davon aber auch im Kopf, dass er den Amazonas überqueren musste, im Wasser und er kann nicht schwimmen. Krass, einfach krass. Ich bin sprachlos (das kommt nicht wirklich oft vor).

Er ist der Letzte im Ziel. Aber das ist ihm egal.

„Ich habe dieses Ziel innerhalb von einem Jahr von der Diagnose ‚du wirst nie wieder laufen können‘ erreicht. Und diese Bilder wird mir nie einer nehmen.“

Für ihn schließt sich dort ein Kreis. Die Angst vor der Erkrankung, die Zweifel, die Prognose. Und die Erfahrung, dass er sich mit einem klaren Ziel, mentalen Strategien und einer Menge Hartnäckigkeit zurückkämpfen kann. Weiter gehts nächste Woche mit Folge 2. Wir sprechen über weitere krasses Abenteuer, sein Buch, die Gründung von Seenland Events und mehr.


Was du aus Michaels Geschichte mitnehmen kannst

Nicht jeder muss in den brasilianischen Dschungel oder 52 Marathons im Jahr laufen. Und bitte auch nicht heimlich nach einer schweren OP mit Ultraplänen einsteigen.

Trotzdem steckt in Michaels Geschichte einiges, was du für dich mitnehmen kannst:

  • Du kannst dein Leben drehen, auch wenn es von außen „festgefahren“ wirkt
    Vom rauchenden Partymenschen zum Marathonläufer ist kein gerader Weg, aber er ist möglich.
  • Ziele dürfen größer sein als dein aktueller Alltag
    Erster Marathon, Profistatus, Dschungelrennen. Alles begann mit einer Wette und der Frage „Was geht noch?“
  • Seine Diagnose war eine für mich unvorstellbare Herausforderung.
    Die Krebsdiagnose hätte alles beendet. Für Michael war sie am Ende der Auslöser, sich noch klarer zu fragen, was er wirklich will.
  • Familie und Umfeld sind kein „Nice to have“, sondern tragendes Fundament
    Ohne seine Frau, die Kinder, die Unterstützung bei Ausbildung und Alltag wäre dieser Weg kaum möglich gewesen.
  • Bilder im Kopf sind kein Esoterik Gedöns
    Michael hat sich seine Ziele immer wieder sehr konkret vorgestellt. Wie das Ziel aussieht, wie es sich anfühlt, dort anzukommen. Das hat ihn durch schwere Phasen getragen.

Wie es im zweiten Teil weitergeht

Im zweiten Teil unseres Gesprächs sprechen wir darüber

  • welche drei Erlebnisse Michael am meisten geprägt haben
    (unter anderem ein Lauf mit 18.000 Höhenmetern in Bhutan)
  • warum er heute „Mikro Erlebnisse“ im fränkischen Seenland organisiert
    statt große Extremrennen zu veranstalten
  • wie sein Buch „Keep calm and go on“ entstanden ist
    und warum es kein klassisches Laufbuch geworden ist
  • welche Rolle Glaubenssätze und Visualisierung in seinem Alltag spielen
    und wie du das auf dein eigenes Training übertragen kannst
  • warum seine Familie ihn bis heute erdet
    und was ihm wichtiger ist als Zeiten und Medaillen

Im Blogartikel zu Teil 2 warten dann auch alle Infos zur Buchverlosung und dem Gewinnspiel, das Michael für meinen Podcast gestiftet hat.

Bis dahin
lass uns gemeinsam die Schuhe schnüren und daran erinnern, dass es nicht darum geht, wie andere es machen, sondern wohin du dir selbst zutraust zu gehen.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen